Am 21. September 2019 starb völlig überraschend Prof. Dr. Karl Kießwetter kurz vor seinem 90. Geburtstag. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Talentförderung Mathematik wird Prof. Kießwetter als Autor der meisten Aufgabenblätter bekannt sein.

Prof. Kießwetter gründete im Jahr 1983 die Talentförderung Mathematik zusammen mit Prof. Dr. Helmut Müller (Fachbereich Mathematik), Prof. Dr. Wilhelm Wieczerkowski und Dr. Harald Wagner (beide Fachbereich Psychologie) beim Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg. Die zunächst vier Gruppen der Jahrgangsstufe 7 wurden von Studenten und Hamburger Lehrkräften betreut. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zuvor durch zwei Tests ausgewählt worden (dem SAT-M, Scholastic Aptitude Test Mathematics in Zusammenarbeit mit der Johns-Hopkins-University, Baltimore, USA, und dem von Prof. Kießwetter entwickelten HTMB, dem Hamburger Test für mathematische Begabung). Die Finanzierung übernahm im Wesentlichen das damalige Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW).

Eine Vorgabe des Förderbescheids über fast 500.000 DM war, dass das Projekt nicht auf ein Bundesland beschränkt sein durfte. Daher wurden ein Jahr später Gruppen in Niedersachsen, zunächst am Gymnasium Neu Wulmstorf, eingerichtet. Diese Gruppen arbeiteten zunächst eng mit dem Hamburger Projekt zusammen, nahmen an wissenschaftlichen Begleituntersuchungen teil und führten gemeinsame Ferienreisen durch. Nach Auslaufen der Finanzierung durch das BMBW wurde die Förderung der niedersächsischen Projekte zunächst durch das Kultusministerium und später durch den Verein Talentförderung Mathematik übernommen. Für die Förderung des Hamburger Projektes wurde die William-Stern-Gesellschaft gegründet, deren Vorsitzender Prof. Kießwetter bis zu seinem Tod war.

Grundidee der Aufgaben der Talentförderung Mathematik ist die Vorstellung von Prof. Kießwetter, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in eine Art simulierter Forschungssituation versetzt werden. Ein auslösendes Problem führt in ein Problemfeld ein. Aus diesem auslösenden Problem ergeben sich weitere Fragen. Das Finden und Formulieren von Anschlussproblemen ist dabei ebenso von Bedeutung wie das Problemlösen selbst. Prof. Kießwetter beschäftigte sich intensiv mit Phasen des Problemlösens sowie mit heuristischen Strategien wie das Organisieren von Material, Sehen von Mustern und Gesetzen, Wechsel der Repräsentationsebene (vorhandene Muster oder Gesetze in "neuen" Bereichen erkennen und verwenden), Strukturen höheren Komplexitätsgrades erfassen und darin arbeiten und das Umkehren von Prozessen, also das Rückwärtsarbeiten.

Für sein Engagement zur Förderung mathematisch begabter Schülerinnen und Schüler wurde Prof. Kießwetter das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Norbert Stüven